Kürzlich stolperte ich über einen Zeitungsbericht über eine Stechapfelpflanze. Es ging darum, dass sich auf der Grünfläche zwischen den Parkplätzen eines großen Einkaufszentrums eine einzelne Stechapfelpflanze angesiedelt hatte. Eine Kundin hatte diese sogleich als Giftpflanze identifiziert und sich bei der Leitung des Einkaufszentrums beschwert. Dort wurde diese Beschwerde auch sehr ernst genommen und die Pflanze wurde umgehend vernichtet. Schließlich handelte es sich ja um eine Giftpflanze die für Kinder und Tiere bei Verzehr sogar tödlich wirken kann.

Ich persönlich habe diesen Bericht mit sehr gemischten Gefühlen verfolgt. Generell, wann immer die Menschen stolz darauf sind giftige, gefährliche oder… bei Gott… sogar Neophyten zu vernichten, macht mich das innerlich ein wenig traurig. Wurde einst, in der Zeit der Hexenverfolgung nicht auch das giftige Bilsenkraut als „Kraut der Hexen und des Teufels“ auf dieselbe Art aus unseren Kräutergärten vertrieben? Wo bleibt heutzutage noch Platz für ein wenig wilde Natur und giftige Pflanzen?

Häufig sind es gerade hochpotente Pflanzen, deren Wirkstoffe umfangreich auch arzneilich genutzt werden können. Nicht nur der Mensch, auch Wildtiere brauchen solche Pflanzen und wissen instinktiv um den Umgang damit. Nur bei sehr jungen Tieren oder gezüchteten Nutztieren kommt es immer wieder zu Vergiftungen mit Wildpflanzen. Diese noch junge Wissenschaft der Zoopharmakognosie wird erst seit wenigen Jahrzehnten erforscht. Dabei wurde beobachtet, dass nicht nur Menschenaffen, sondern auch eine Vielzahl anderer Tiere bestimmte, wirksame Pflanzen als „Arzneipflanzen“ fressen, die sie als Futterpflanzen normalerweise nicht zu sich nehmen.

So ist mir das „verteufelte“ Bilsenkraut (Hyoscyamus) in freier Wildbahn erst ein einziges Mal begegnet. Dies war in einem Wildtierpark wo es, wie ich später herausfand, für die Wildschweine angesiedelt wurde. Diese fressen offenbar kleine Mengen vom Bilsenkraut um Darmparasiten auszutreiben. Zugegeben, ich bin kein Wildtierhüter und diese Information ist mir auch in Kräuterbüchern noch nirgends begegnet. Doch zählt der Wirkstoff Hyoscyamin als Butylbromid zu den Parasympatholytika und wird bekannterweise bei Bauchschmerzen und Krämpfen verabreicht.

Die aktiven chemischen Substanzen des Bilsenkrauts sind Tropan-Alkaloide, insbesondere Atropin, Scopolamin und Hyoscyamin. Vor allem das Skopolamin ist für die halluzinogene Wirkung verantwortlich. Weiters werden durch die Wirkstoffe Effekte des parasympathischen Nervensystems aufgehoben, was den Einsatz als Schmerzmittel, speziell bei Krämpfen des Magen-Darm-Traktes erlaubt. Weitere Einsatzgebiete wären als Anticholinergikum bei Erkältungskrankheiten, bei Spasmen des Gastrointestinaltrakts sowie bei Narbensalben.

Heute wird Bilsenkraut nur noch selten pharmazeutisch verwendet. Es sind allerdings verschiedene Fertigarzneimittel am Markt, welche die Wirkstoffe des Bilsenkrauts wie zum Beispiel Hyoscyamin, Hyoscin und deren Derivate oder auch Atropin und Scopolamin enthalten. In diesen ist der Gehalt der Wirkstoffe genauestens standardisiert. Von einer Verwendung der Pflanze als Halluzinogen und Rauschmittel muss aufgrund der hohen Giftigkeit natürlich dringend abgeraten werden!

Doch kehren wir zurück zum Stechapfel (Datura). Dieser zählt zu den Nachtschattengewächsen und ist ursprünglich in Zentralamerika beheimatet, ein „gefährlicher“ Neophyt also, wenn auch nicht invasiv. In Europa wurde er als Zierpflanze eingeführt und ist mittlerweile auch verwildert, bevorzugt auf Schutthalten, als Ruderalpflanze anzutreffen. Vom Stechapfel gibt es weltweit rund 20 verschiedene Arten. Der „gemeine Stechapfel“ (Datura stramonium) ist die in Europa häufigste Art, welche auch arzneilich verwendet wird.

Der Stechapfel zählt zu den Giftpflanzen und enthält, ähnlich dem Bilsenkraut, stark wirksame Tropanalkaloide wie Hyoscyamin, Scopolamin, und im getrocknetem Zustand auch Atropin, welches sich beim Auskristallisieren aus dem L-Hyoscyamin bildet. Arzneilich werden die getrockneten Blätter verwendet. Der Stechapfel wirkt parasymphatolytisch und halluzinogen. Zu den Anwendungsgebieten zählen epileptische Krämpfe, Asthma (in Form von Asthmazigaretten oder Asthmapulver), Keuchhusten, Bronchitis und andere Erkältungskrankheiten.

Aufgrund der geringen therapeutischen Breite wird der Stechapfel heute aber kaum noch verwendet.

Phytotherapeutisch darf der Stechapfel aufgrund seiner hohen Giftigkeit nicht verwendet werden. Daher wurde der Stechapfel weder vom HMPC noch von der ESCOP bewertet. Die Kommission E hat den Stechapfel aufgrund des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses mit einer Negativmonographie bewertet. Eine Einstufung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel hat aufgrund der starken Giftigkeit nicht stattgefunden.

Der aus der Pflanze isolierte Wirkstoff Scopolamin wird als Fertigarzneimittel verwendet. Einerseits findet er in der Augenheilkunde in Form von Scopolaminbromid Anwendung, des Weiteren wird er in Form von Scopolaminpflaster zur Vorbeugung von Reisekrankheit, Seekrankheit, Schwindel und Erbrechen genutzt. Diese Pflaster sind rezeptpflichtig und für Kinder unter 10 Jahren nicht geeignet.

Aufgrund der starken Giftigkeit wird von einer Anwendung von Datura ohne ärztliche Aufsicht abgeraten. Nicht ohne Grund sind auch die standardisierten Fertigarzneimittel verschreibungspflichtig. Dennoch sollte das Wissen um die eigentliche Pflanze, von der wir ursprünglich die entsprechenden Wirkstoffe isolieren konnten, nicht verloren gehen. Pflanzen sind wahre Meister der Wirkstoffsynthese. Nach wie vor sind weit über 70% aller arzneilich genutzten Wirkstoffe natürlichen Ursprungs, einem natürlichen Wirkstoff nachempfunden oder haben einen natürlichen Pharmakophor.

Meine persönliche Erfahrung ist, je mehr man über eine Pflanze und deren Eigenschaften weiß, umso besser ist der Umgang damit. Natürlich gibt es auch invasive Arten, die man beizeiten etwas zurückdrängen muss. So dezimiere ich selbst aktuell die Zitronenmelisse in meinem Garten, auch wenn sie eigentlich eine meiner Lieblingspflanzen und auch keine Giftpflanze oder Neophyt ist. Sie ist nur gerade etwas invasiv und es soll auch noch Platz für andere Kräuter bleiben. Im Allgemeinen sollte es doch für jede Pflanze, egal ob giftig, ungiftig oder sogar Neophyt, einen Platz in der uns umgebenden Natur geben. Und wäre es nicht viel sinnvoller unseren Kindern einfach das Wissen um diese Pflanzen zu vermitteln als sie blind ausrotten zu wollen? 

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