Viele von uns haben nun zum Jahreswechsel des gregorianischen Kalenders, als Glücksbringer einen Fliegenpilz erhalten.

Warum der giftige Fliegenpilz als Glückssymbol gesehen wird, ist nicht genau bekannt. Vermutlich wird er aufgrund seiner psychoaktiven Wirkung mit Zauberei und Hexerei in Verbindung gebracht. Am bekanntesten ist der rote Fliegenpilz. Es gibt aber auch andere Varianten wie den braunen Königs-Fliegenpilz, welcher von der deutschen Gesellschaft für Mykologie zum Pilz des Jahres 2000 gewählt wurde.

Möglicherweise erhielt der Fliegenpilz seinen Namen, da er dazu verwendet wurde Fliegen und Mücken zu betäuben und zu töten. Diese Meinung ist zumindest weit verbreitet. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass ältere Pilzkappen beim Trocknen einen unangenehmen Geruch entwickeln können, und damit sehr viele Fliegen anlocken. Eine weitere Vermutung zur Namensherkunft bezieht sich auf „das Fliegen“, also im Sinne einer psychedelischen Trance, die durch die psychoaktiven Wirkstoffe hervorgerufen wird.

Trotz seiner Giftigkeit sind tödliche Vergiftungen mit Fliegenpilz äußerst selten. Vermutlich handelte es sich bei den wenigen Fällen tatsächlich um den nahverwandten Pantherpilz, mit dem der Fliegenpilz häufig verwechselt wird. Dennoch sind unangenehme Vergiftungen mit Fliegenpilz durchaus möglich.  Nothnagel schrieb dazu: „Nach dem Genuss des Fliegenpilzes treten meist nach kurzer Zeit Erbrechen, Kolikschmerzen, und blutige Diarrhoeen auf. Häufig beobachtet man einen rauschartigen Zustand, Die Vergifteten lachen, singen, sie taumeln, dann tritt Schwanken beim Gehen wie bei einem Trunkenen, ja auch Visionen, Hallucinationen, Delirien und wirkliche maniakalische Anfälle auf.“ (Nothnagel: Pathologie und Therapie 1897)

Als Ritualpflanze ist der Fliegenpilz vermutlich schon seit der Steinzeit in Verwendung. Die Schamanen Nordeuropas und Nordasiens verspeisen getrocknete Fliegenpilze um in eine Art hellsichtige Trance zu verfallen. Der Gebrauch des Fliegenpilzes als Rauschdroge bei den sibirischen Völkern ist aber erst seit dem 18. Jahrhundert bekannt. Auch das Rauchen getrockneter Pilzstücke wird praktiziert. Beim Räuchern der Pilzstücke entwickeln sie einen schweren, fettigen Rauch und riechen meist etwas unangenehm. Daher wird hier mit anderen Räucherstoffen wie Eichenmoos oder Fichtenharz gemischt. Auch sollte man beachten, dass bereits beim Räuchern in geschlossenen Räumen eine Wirksamkeit eintreten kann.

Umstritten ist, ob es sich beim Fliegenpilz um die altindische Rauschdroge Soma handelt. Ebenso umstritten ist ein römisches Fresko in der Plaincourault-Kapelle aus dem späten 13. Jahrhundert. Dieses Fresko stellt den Baum der Erkenntnis aus der biblischen Versuchungsszene dar. Der Baum ähnelt auf verblüffende Weise dem Fliegenpilz, um den sich die Schlange windet.

In manchen Regionen wird der Fliegenpilz auch als Speisepilz verzehrt. Dazu wird der frische Pilz vor Gebrauch in Wasser eingelegt. Dadurch werden die aktiven Wirkstoffe aus dem Pilz ausgeschwemmt. Andernorts wird der Fliegenpilz auch in Wodka eingelegt. Dieses Getränk wird als Rauschdroge verwendet. Im 19. Jahrhundert wurde der Fliegenpilz als Hausmittel sowie auch ärztlich verordnet bei Epilepsie und Fieber eingesetzt. Eine Tinktur aus Fliegenpilz wird volksmedizinisch zur äußerlichen Einreibung bei rheumatischen Beschwerden verwendet. Eine Wirksamkeit ist allerdings nicht medizinisch anerkannt. Auch sollte hier beachtet werden, dass bereits durch eine transdermale Aufnahme mögliche Nebenwirkungen auftreten können. Daher sollten hier keine Selbstversuche von Unkundigen durchgeführt werden!

Heute wird der Fliegenpilz aufgrund seiner Giftigkeit nicht mehr als Arzneimittel verwendet. Eine Ausnahme bilden vereinzelt alternativmedizinische Zubereitungen sowie Homöopathika. Von einer Verwendung als Halluzinogen oder Rauschmittel ist dringend abzuraten. Auch wenn eine lebensgefährliche Vergiftung eher selten vorkommt, besteht dazu dennoch die Möglichkeit. Desweiteren treten, wie oben beschrieben, äußerst unangenehme Nebenwirkungen auf. Wie bei vielen anderen Naturstoffen mit starker Wirksamkeit kann der Wirkstoffgehalt je nach Standort und Klima stark schwanken. Da hier hochpotente Inhaltsstoffe enthalten sind, liegen die therapeutische Dosis und die toxische Dosis sehr nah beieinander, weshalb eine therapeutische Anwendung nach heutigem Standard nicht mehr sinnvoll erscheint.

Zu den relevantesten toxischen Inhaltsstoffen zählen die Ibutensäure, Muscimol, Cholin, Acetylcholin, Muscarin und Muscaridin. Für die psychoaktive Wirkung sind vor allem die Ibutensäure und das Muscimol verantwortlich. Sie ähneln strukturell den Neurotransmittern GABA und Glutamat. Im Zentralnervensystem wirken sie auf das Katecholamin- und Serotoninsystem, wodurch die halluzinogene Wirkung verursacht wird.

Auch wenn von einer Verwendung des echten Fliegenpilzes abzusehen ist, so sind doch jene aus Marzipan, die wir uns gegenseitig zum Jahreswechsel schenken als unbedenklich anzusehen und dürfen nach Lust und Laune verzehrt werden. In unseren Märchen und Geschichten, als Behausung von Zwergen und Schlümpfen beflügelt der Fliegenpilz auch weiterhin unsere Phantasie.

 

2 thoughts on “Der Fliegenpilz (Amanita muscaria)

  1. Wieso wurde/wird der Fliegenpilz um Weihnachten herum als Deko genutzt und wieso gilt er als „Glückspilz“? Wurde schon von meinen Großeltern vor über 100 Jahren (Dresden) so gemacht.

    1. Hallo, wie im Beitrag beschrieben ist das nicht genau bekannt bzw. belegt. Auf jeden Fall ist der Fliegenpilz-„Kult“ schon sehr alt und wurde bereits in der Steinzeit als Ritualpflanze verwendet. Wir müssen uns dabei vorstellen, dass unser ganzer Lebensrhythmus vor noch nicht allzulanger Zeit im Einklang mit dem Jahreslauf war. Dabei war der Winter, besonders die Zeit um die Wintersonnenwende eine ruhige Zeit und es wurde innere Einkehr betrieben. Rauschpflanzen und Pilze halfen dabei, hellsichtig in die Zukunft zu Blicken. Noch heute befragen wir Orakel oder versuchen aus den Figuren beim Bleigießen ein Omen fürs kommende Jahr zu finden. Also dieser alte Kult lebt noch immer, hat sich nur im Laufe der Jahrhunderte an die aktuelle Zeit „angepasst“

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